„Christus am Kreuz“

Gemälde von Harald K. Schulze

Am Sonntag Judika am 21. März 2021 wurde das Bild im Gottesdienst eingeweiht.

Predigt zum Bild „Christus am Kreuz“
des Künstlers Harald K. Schulze,
Bibeltext Joh 3,14-1, Sonntag Judika, 21. März 2021

 

(Anke Schwedusch-Bishara)

 

Liebe Gemeinde!

 

Am Kreuz scheiden sich die Geister. Die einen sehen es als brutales Folterinstrument, vor dessen Anblick man Kinder bewahren muss, die anderen sehen darin den Ausdruck höchster Liebe, die durch nichts überboten werden kann. Die einen wollen das Kreuz aus dem öffentlichen Leben verbannen, und die anderen errichten Kreuze auf Bergen, an Straßen, um damit ein Zeugnis ihres Glaubens zu geben.

 

Am Kreuz scheiden sich die Geister. Auch unter Christenmenschen. Die einen sagen: „Es drückt mich nieder, wenn ich im Gottesdienst ständig auf diese Grausamkeit schauen muss. Ich will doch hier aufgerichtet werden.“ Und andere: „Ein Bild des Gekreuzigten könnte ich nie ablehnen. Der Aufblick zum Kreuz schenkt mir Trost und Kraft.“

 

Seit einigen Wochen zieht außer dem Kruzifix auf dem Altar ein weiteres Kreuz in unserer Kirche den Blick auf sich. Auch an diesem Kreuz scheiden sich die Geister. Und das ist in Ordnung so. Nicht nur, weil Kunst oft die Meinungen teilt. Nicht nur, weil der Einwand berechtigt ist, dass unsere Kirche ursprünglich bilderlos konzipiert wurde. Sondern auch, weil damit eine alte Debatte wieder einmal an die Oberfläche kommt.
Das Symbol des Kreuzes oder eine bildliche Darstellung des gekreuzigten Christus im Kirchenraum ist weniger selbstverständlich als wir glauben mögen.

 

Die Kreuzigung galt in der Antike als entehrend und grausam, ekelerregend und abstoßend. Der hellenistische Schriftsteller Lukian wollte deshalb sogar den kreuzförmigen Buchstaben T aus dem Alphabet streichen. Das Wort vom Kreuz wurde in den Gemeinden gepredigt. Natürlich. Das Kreuz als Bild wurde in der Urkirche aber nicht gezeigt.

 

Bis ins frühe Mittelalter scheuten Christen sich, Jesus in Verbindung mit dieser Todesart darzustellen. Als er schließlich in der Zeit der Romanik am Kreuz abgebildet wurde, stand er aufrecht, siegreich und gekrönt. Nochmal einige hunderte Jahre hat es gedauert, bis sich jemand wagte, einen toten Christus am Kreuz hängend darzustellen. Die folgende Gotik mit ihren eindrücklichen Altarbildern z.B. von Matthias Grünewald und die Kreuzesfrömmigkeit sind uns so vor Augen, dass sie den anderen Teil der Geschichte verdecken.

 

Im Mikrokosmos unserer Gemeinde spiegeln sich unterschiedliche Stimmen der innerchristlichen Auseinandersetzung über das Kreuz wieder.
Welcher Seite wir auch zuneigen in dieser Debatte, in der Passionszeit schauen wir gemeinsam auf den Leidensweg Christi und das Kreuz und schauen heute ganz bewusst auf das neue Bild in unserer Kirche „Christus am Kreuz“ des Künstlers Harald K. Schulze.

 

Orgelmusik. „Kreuz auf das ich schaue“

 

Als Betrachterin erlebe ich mich ganz nah vor dem hoch aufgerichteten Kreuz. Christus nimmt das ganze Bild ein, von den durchbohrten Füßen bis zur Dornenkrone auf seinem Haupt und mit seinen weit ausgebreiteten Armen.
Nicht im Fokus sind all jene, von denen die Passionsgeschichte unterm Kreuz berichtet: Maria und der Jünger Johannes, die trauernden Frauen, die würfelnden Soldaten, das spottende Volk.
Von diesen allen weg, richtet sich mein Blick auf den muskulösen Leib Christi. Der Künstler hat viel Können und Sorgfalt darauf verwendet, diesen Körper zu malen. Geschult an der Kunst der Renaissance haben ihn vielleicht die Werke von Michael Angelo inspiriert, der seinen David oder Christus, den Auferstanden ganz körperbejahend schuf.
Ich kann mir vorstellen, dass diese Zimmermannsarme und -hände Balken behauen und Häuser errichtet haben. Das ist ein Mensch aus Fleisch und Blut - auch im Leiden und im Tod. Von Wunden und Striemen der Marter ist sein Leib gezeichnet. Besonders der dicke Nagel durch die Füße, lässt den Schmerz erahnen. Christus – wahrer Mensch.

 

Verwundert hat mich ein Detail der Wunde, in der noch die Lanze steckt. Der Evangelist Johannis erzählt, Jesus wurde in die Seite gestochen, um zu prüfen, ob er wirklich tot sei. Statt Blut und Wasser rinnt aber hier eine grünliche Flüssigkeit aus der Wunde heraus. In der christlichen Farblehre ist grün die Farbe der Hoffnung und des Heiligen Geistes. Das Grüne zeigt an: diesem Menschen wohnt der Geist Gottes inne.
Der ist kein Richtgeist, sondern ein Geist der Rettung und des Heils.
Aus diesem Geist heraus, hat der Christus Menschen Bedeutung und Würde zugesprochen.
Er hat sie nicht gerichtet, sondern aufgerichtet.
Schuldigen schenkte er einen neuen Anfang.
„Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern, dass die Welt durch ihn gerettet werde.“ (Joh 3, 17)

 

Orgelmusik. „Kreuz auf das ich schaue“

 

Ich stehe unter Jesu Kreuz, einem Ort des Leidens, der Trauer, der Dunkelheit. Harald K. Schulze malt das Kreuz in die Nacht hinein, obwohl Jesus am Nachmittag starb. Manche bedrücken die dunklen Töne des Bildes.

 

Manchmal gehen wir selber einen Passionsweg. Leid oder Schuld können die Welt und das Leben verdunkeln, Dunkelschatten sich auf die Seele legen.

 

Jesu Leib leuchtet. Selbst sein bitterer Kreuzweg und sein Tod haben das Licht der Welt nicht verlöschen lassen.
In sein Licht kann ich aus meiner Dunkelheit fliehen. Mit meinem Schmerz, meiner Not, meinen Sorgen, meiner Angst, meinem Versagen oder meiner Ohnmacht. Auch mit der Traurigkeit über das Dunkel und das Unrecht auf dieser Erde.

 

Und noch etwas bewirkt das Bild bei mir. Haben Sie schon die Perspektive beachtet? Sie richtet den Blick des Betrachters nach oben. Aufblicken. Das ist eine wichtige Lebens-, manchmal eine Überlebensstrategie. Den Blick von mir selbst wegrichten, mich nicht fixieren auf das, was mich lähmt oder ängstigt. Den Blick nach oben wenden. Hinschauen zu Jesus, vom dem Johannes sagt, dass er erhöht wurde, damit die, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.

 

Sein Kreuz verbindet die Erde mit dem Himmel. Fast wirkt es, als schwebe oder wachse dieses Kreuz dem Himmel entgegen.
Beim Aufschauen werde ich des Sternenhimmels hinter dem Kreuz gewahr. Je länger ich ihn betrachte, umso tiefer schaue ich in den Kosmos hinein und umso mehr Sterne kann ich entdecken. Mein Blick weitet sich und erkennt: „Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat“.

 

Dieser hat alles vollbracht, was nötig ist. Die Todesmächte haben nicht mehr das letzte Wort, sondern die Liebe Gottes.
Wie segnend hält Christus am Kreuz seine ausgebreiteten Arme über mich, ja die ganze Welt.

Nach langen Überlegungen hängt das Gemälde hier an der Seitenwand, unweit der Tür. So fällt der Blick beim Verlassen der Kirche darauf. Bevor wir hinausgehen in unseren Alltag, in die Welt, segnet der Christus uns und führt uns vor Augen, wie weit seine Liebe reicht, auf dass wir mit weitem und erleichtertem Herzen gehen:
„Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“

 

Amen.

 

Gebet zur Einführung des Bildes

 

Gnädiger und gerechter Gott,
das Leiden deines Sohnes
führt uns vor Augen,
wozu Menschen fähig sind,
wenn sie hassen,
wenn sie ihren Machtanspruch verteidigen
oder sich unkritisch treiben lassen.
Aber das Kreuz deines Sohnes
erinnert uns auch daran:
Deine Liebe ist stärker
als das Böse in uns
und in unserer ganzen Welt.
Deine Liebe behält das letzte Wort
und schafft neue Anfänge.

 

Wir danken dir für das neue Bild unserer Kirche.
Segne, die davor innehalten und es betrachten.
Hilf ihnen, durch Leid hindurch auf deine Liebe zu vertrauen.
Segne sie mit Glauben und Hoffnung.
Amen.

Informationen zum Künstler:
Harald K. Schulze (Wikipedia)
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