„Ich bin dein Pilgrim und dein Bürger wie alle meine Väter.“ So lautet die Inschrift auf der Kanzel unserer Dorfkirche und dieser Halbvers aus dem 39. Psalm begrüßt auch Besucherinnen und Besucher der Webseite der Evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Müggelheim. Denjenigen, die schon einmal gepilgert sind – zum Beispiel auf dem berühmten Jakobsweg – erschließt sich der Vergleich schnell, denn der Pilger ist ständig auf dem Weg, schläft jede Nacht an einem anderen Ort, erträgt Wind und Wetter sowie die Mühsal des Wanderns. Die alte Übersetzung „Bürger“ dagegen führt uns heute in die Irre, denn gemeint ist nicht der „freie Bürger“, sondern ein Mensch, der abhängig ist und sich unterordnen muss. Deshalb heißt der Text in der „Neuen Genfer Übersetzung“: „Ich bin ja nur ein Gast bei dir, ein Fremder wie alle meine Vorfahren.“
So wird verständlich, warum die Pfälzer Familien, die Müggelheim gründeten, diese Worte für ihre Gemeinde aussuchten. Sie kamen von weit her und obwohl sie sich dauerhaft niedergelassen hatten, blieb ihnen die Abhängigkeit vom preußischen König und der „Obrigkeit“ immer bewusst. Auch heute gibt es in dem groß gewordenen Dorf viele Familien, die noch vor gar nicht so langer Zeit „zugezogen“ sind, und manchen Müggelheimern der „Bergseite“ sind die Spreewiesen ziemlich fremd. Doch muss das „Fremde“ uns fremd bleiben? Die Müggelheimer Kirchengemeinde hatte vor einigen Jahren bei ihrem jährlichen Waldgottesdienst an der Großen Krampe Mitglieder des Vereins „No Ka Hoʻomanaʻo Ana Ia Berlin“ (Zur Erinnerung an Berlin) zu Gast, die das Thema „Glaube, Hoffnung und Liebe“ mit einem hawaiischen Hula tänzerisch darstellten. Auf den ersten Blick war da viel Fremdes: ein Lied auf Hawaiisch, Tanzen im Gottesdienst und die Gesten, mit denen „die drei großen Dinge“ beschrieben wurden. Doch einige Müggelheimerinnen hatten zuvor schon während der Gemeindefreizeit in Gussow den Hula „ʻEkolu mea nui“ (Die drei großen Dinge) gelernt und tanzten gemeinsam mit den Gästen. Auch klingt die Melodie des christlichen Hula für eine evangelische Gemeinde nicht fremd und geht leicht ins Ohr.
Vielleicht ist die Suche nach bekannten Dingen im Fremden ein gutes Rezept für eine erste Annäherung? Auch wenn die Versuche der Pfälzer, am Müggelberg Wein anzubauen, schließlich nicht erfolgreich waren, konnten sie doch andere Erfahrungen der alten Heimat nutzen und zum Beispiel ihren Glauben in der neuen Heimat leben. Zehn Jahre nachdem die Müggelheimer 1804 ihre Dorfkirche eingeweiht hatten, traf mit dem jungen Harry Maitey ein Fremder buchstäblich von der anderen Seite der Welt in Berlin ein. Er war nicht nur der erste Hawaiier in Preußen, sondern tanzte auch den ersten Hula in Berlin – einen Hula noho (Hula im Sitzen) – wovon die „Vossische Zeitung“ am 18. Oktober 1824 berichtete: „Beim Singen setzt er sich auf einen Stuhl, u. macht mit den Händen lebhafte Bewegungen, wobei es mir bemerkenswerth schien, daß er mit der rechten Hand sich oft an das Herz schlug, während er mit der Linken die rechte Seite nie berührte.“
Harry Maitey verbrachte den größten Teil seines Lebens auf der Berliner Pfaueninsel und ist auf dem Friedhof Nikolskoe begraben. „No Ka Hoʻomanaʻo Ana Ia Berlin“ wird ihn am 14. Juni mit einem traditionellen Hula auf der Pfaueninsel ehren. Vielleicht machen sich ja einige Müggelheimer auf den Weg an die fremden Ufer der Havel?
Thomas Tunsch